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Kirchengericht:Verwaltungskammer bei dem Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:06.08.2020
Aktenzeichen:0136/A10-2019
Rechtsgrundlage:Art 15 Absatz 3 DSGVO, Artikel 91 DSGVO, § 2 Abs. 1 DSG-EKD
Vorinstanzen:keine
Schlagworte:Akteneinsicht, Aktenüberlassung
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Leitsatz:

[Redaktionelle Leitsätze]
1. Das kirchliche Recht bleibt hinter der DSGVO dadurch zurück, dass es nicht die Akteneinsicht bzw. – weitergehend – die Überlassung von Kopien von Schriftverkehr in Bezug auf die Person vorsieht.
2. Ein Anspruch auf Überlassung von Unterlagen in Ablichtung kann auf Art 15 Absatz 3 DSGVO gestützt werden.
3. Das Datenschutzrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland ist nur insoweit anwendbar, als es hinter den Gewährleistungen der Datenschutzgrundverordnung nicht zurückbleibt.

Tenor:

Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Kopien aller ihm vorliegenden Unterlagen zur Datenschutzbeschwerde des Klägers in Bezug auf die Einrichtungen B und C zu überlassen, insbesondere von dem Schreiben vom 11. Oktober 2017.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Der Kläger begehrt die Herausgabe ihn betreffender personenbezogener Unterlagen, die sich im Besitz des Beklagten befinden.
Der Kläger hatte etwa im Jahr 2016 zwecks eventueller Behandlung zwei „Patientenakten“ zu seinen gesundheitlichen Verhältnissen einerseits der Einrichtung B sowie andererseits der Einrichtung C - zu den dortigen Behandlungs- bzw. Betreuungseinrichtungen unaufgefordert übersandt. Nachdem es dort nicht zu einer Behandlung kam, forderte der Kläger seine Unterlagen vom Einrichtungsträger heraus. Die vormals zuständige Datenschutzaufsicht vermittelte in diesem Verhältnis, nachdem der Kläger sich dort wegen der schleppenden Bearbeitung beschwert hatte.
Zum 30. September 2016 wurde dem Beklagten die Datenschutzaufsicht der Diakonie D und damit für die Einrichtungen B und C übertragen. Dieser übernahm die Bearbeitung des Anliegens des Klägers und stellte nach erfolglosen Ermittlungen mit Schreiben vom 9. April 2019 fest, dass die Behandlungsakten des Klägers verloren gegangen seien und ein Datenschutzverstoß seitens der Diakonie vorliege. Er regte eine Kompensationsleistung an.
Der Kläger begehrte nunmehr gegenüber dem Beklagten Akteneinsicht in dessen Prüfvorgang, insbesondere im Hinblick auf ein Schreiben der beiden Einrichtungen an den Beklagten vom 11. Oktober 2017, in welchen sie darlegten, dass die Patientenakten an die vormalige Datenaufsicht gegangen seien. Das lehnte der Beklagte - wohl telefonisch - ab.
Am 18. Oktober 2019 hat der Kläger Klage erhoben mit dem Ziel, Einsicht in die zwischen dem Beklagten und der vormaligen Datenaufsicht geführte Korrespondenz zu den verlorenen Patientenunterlagen bzw. Ablichtungen hiervon zu erhalten. Er meint, dass das Datenschutzrecht nach der Datenschutzgrundverordnung im vollen Umfang auch gegenüber der kirchlichen Datenschutzbehörde zu gelten habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten zu verurteilen, die diesem vorliegenden Unterlagen zu den bei den Einrichtungen B und C verloren gegangenen Patientenakten des Klägers in Ablichtung zur Verfügung zu stellen.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
die Klage abzuweisen.
Er sieht im Katalog der Betroffenenrechte von § 19 DSG-EKD keine Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers, räumt aber ein, dass der Kläger tatsächlich ein starkes Bedürfnis habe, sich selbst von der Glaubhaftigkeit der Dokumente, speziell des Schreibens vom 11. Oktober 2017 zu überzeugen. Das habe er leider abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf eine mündliche Verhandlung verzichtet und ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
Die Verwaltungskammer entscheidet im Einverständnis der Beteiligten im schriftlichen Verfahren (§ 33 Abs. 2 VwGG.EKD).
Der Schriftsatz des Klägers vom 2. August 2020 gibt keine Veranlassung, vom angekündigten Entscheidungstermin abzuweichen, weil weiterer Aufklärungsbedarf zum entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht besteht. Eine schriftliche Diskussion zwischen Beteiligten und Gericht sieht das Gesetz über das nach seiner Auffassung erforderliche Maß hinaus nicht vor.
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage auf Akteneinsicht bzw. Herausgabe von Unterlagen in Ablichtung zulässig.
Die Klage ist auch begründet. Denn der Kläger hat Anspruch auf Überlassung der begehrten Unterlagen in Ablichtung.
Das ergibt sich aus dem Katalog der Datenschutzrechte nach Artikel 15 der Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union vom 27. April 2016 (DSGVO), die seit dem 28. Mai 2018 in Kraft ist und in allen Mitgliedsstaaten unmittelbar gilt. Nur soweit es erforderlich ist, bringen die EU-Mitgliedsstaaten ihr Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit in Einklang (Artikel 85f. DSGVO). Es gibt nur einige, für den vorliegenden Fall nicht einschlägige Öffnungsklauseln, die es erlauben, bestimmte Aspekte national zu regeln.
Die Datenschutzgrundverordnung gilt sowohl im Verhältnis staatlicher oder sonst öffentlicher Stellen gegenüber Privaten, wie auch unmittelbar unter Privaten.
Gemäß Artikel 91 DSGVO gilt die Datenschutzgrundverordnung auch für Kirchen oder religiöse Vereinigungen, gleich ob diese öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisiert sind. Die Kirchen dürfen nach dieser Bestimmung ihre vorhandenen Regeln zum Datenschutz (nur) weiter anwenden, sofern sie mit der Datenschutzgrundverordnung in Einklang gebracht werden. Demzufolge ist das Datenschutzrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland, das auch gegenüber dem Beklagten als Dienststelle der EKD und auch im diakonischen Bereich gilt (§ 2 Abs. 1 DSG-EKD), nur insoweit anwendbar, als es hinter den Gewährleistungen der Datenschutzgrundverordnung nicht zurückbleibt.
Nach kirchlichem Recht, § 19 Abs. 1 S. 1 DSG-EKD, hat der Kläger lediglich Anspruch auf Auskunft über die zu ihm gespeicherten personenbezogenen Daten als Übersicht. Das ermöglicht ihm aber nicht die hier begehrte Akteneinsicht bzw. - weitergehend - die Überlassung von Kopien von Schriftverkehr in Bezug auf seine Person. Darauf bezieht sich die Weigerung des Beklagten, der zutreffend darauf hinweist, dass der Anspruch des Klägers jedenfalls nicht auf das kirchliche Verwaltungsverfahrensrecht gestützt werden kann.
Die Datenschutzgrundverordnung hat aber nach Vorstehendem Vorrang gegenüber dem Datenschutzrecht der EKD.
Nach Artikel15 Abs. 1 DSGVO hat die betroffene Person ein Recht auf Auskunft über sie betreffenden personenbezogene Daten und (u.a.) die Empfänger, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind. Gemäß Absatz 3 stellt die verantwortliche Stelle, das ist hier der Beklagte, weiterhin eine Kopie der personenbezogenen Daten zur Verfügung. Dabei bedeutet „personenbezogene Daten“ alle Informationen, die sich (u.a.) auf eine identifizierte Person beziehen (Artikel 4 Nr. 1 DSGVO). Darunter fällt auch der Schriftverkehr des Beklagten mit den Einrichtungsträgern zu den Patientenakten des Klägers. Denn das Recht auf Auskunft allein über die verarbeiteten Daten besteht ja schon davon unabhängig nach Artikel15 Abs. 1 S. 1 2. HS DSGVO. Das Recht auf eine Kopie impliziert, dass es um mehr als eine bloße Auflistung von Informationen geht, nämlich um zusammenhängende Informationen. Für weitere Kopien der personenbezogenen Daten kann der Verantwortliche ein angemessenes Entgelt auf der Grundlage der Verwaltungskosten verlangen, was ebenfalls für einen gewissen Umfang der Informationen spricht, die in Kopie zu überlassen sind. Dem stehen hier „die Rechte und die Freiheit anderer Personen“ im Sinne von Artikel 15 Abs. 4 DSGVO vorliegend ersichtlich nicht entgegen.
Die Evangelische Kirche in Deutschland hat nicht das Recht, die Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung einzuschränken. Dies stünde allenfalls den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union durch staatliche Gesetzgebung zu, sofern die Datenschutzgrundverordnung zum Schutz wichtiger Rechtsgüter überhaupt Öffnungen zulässt (vgl. Artikel 23 Abs. 1 DSGVO).
Zur Rechtslage ist der Beklagte mit gerichtlicher Verfügung vom 12. Juli 2020 gehört worden. Eine Stellungnahme ist beim Gericht bis zur Entscheidung nicht eingegangen.
Demzufolge hat der Kläger Anspruch auf Ablichtungen der begehrten Unterlagen, insbesondere vom Schreiben der Einrichtungsträger vom 11. Oktober 2017.
Der Klage war daher stattzugeben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 60 Abs. 1 VwGG.EKD.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zum Verwaltungsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland zu.
Die Revision kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei der
Verwaltungskammer bei dem Kirchengericht
der Evangelischen Kirche in Deutschland
c/o Kirchenamt der EKD
Herrenhäuser Straße 12
30419 Hannover
schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden. Die Frist ist auch gewahrt, wenn die Revision innerhalb der Frist bei dem
Verwaltungsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
c/o Kirchenamt der EKD
Herrenhäuser Straße 12
30419 Hannover
eingeht.
Die Revision muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung materiellen Rechts oder auf Verfahrensmängeln beruht.
Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist beim Verwaltungsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden Richter verlängert werden.
Vor dem Verwaltungsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland müssen sich die Beteiligten, soweit sie einen Antrag stellen, durch eine Person mit Befähigung zum Richteramt oder vergleichbarer juristischer Qualifikation vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Revision sowie für Beschwerden und sonstige Nebenverfahren, bei denen in der Hauptsache Vertretungszwang besteht. Die Person muss Mitglied einer Kirche sein, die der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angehört.